Die türkische Millionenmetropole Istanbul mit ihren rund 16 Millionen Einwohnern ist in den kommenden Jahren von einem schweren Erdbeben bedroht. Seismologen warnen seit langem, dass die Metropole am Bosporus aufgrund ihrer Lage an der nordanatolischen Verwerfung einem erheblichen Erdbebenrisiko ausgesetzt ist. Diese Bedrohung hat nun auch das Management türkischer Banken alarmiert, die beginnen, ihre Büros von Istanbul nach Ankara zu verlegen.
Ein Beispiel ist die Denizbank, die kürzlich 350 Millionen Dollar in eine neue Zentrale in Istanbul investierte. Das 34-stöckige Gebäude gilt zwar als erdbebensicher, doch die Ungewissheit über die Folgen eines Erdbebens, etwa die Funktionsfähigkeit der Infrastruktur, lässt die Verantwortlichen nach Alternativen außerhalb der Gefahrenzone suchen. Die Sorge ist groß: Niemand kann vorhersagen, ob es nach einem großen Beben noch Strom, Wasser oder funktionierende Kommunikationsnetze geben wird.
Istanbul hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zum Zentrum der türkischen Finanzwirtschaft entwickelt. Rund 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden hier erwirtschaftet. Dementsprechend haben türkische Banken in der Vergangenheit immer größere Wolkenkratzer in der Stadt errichtet. Auch die türkische Zentralbank verlegte vor zwei Jahren ihren Sitz von Ankara nach Istanbul, um die Bedeutung der Stadt als internationales Finanzzentrum zu unterstreichen. Doch nun kehrt auch sie teilweise nach Ankara zurück, wie Insider der Nachrichtenagentur Bloomberg berichteten. Der Grund: die wachsende Sorge, im Falle eines schweren Erdbebens in Istanbul arbeitsunfähig zu werden.
Die Angst der Banken ist nicht unbegründet. Im vergangenen Jahr erschütterte eine verheerende Erdbebenserie den Südosten der Türkei, bei der über 53.000 Menschen ums Leben kamen und ganze Städte zerstört wurden. Diese Katastrophe hat den Menschen in Istanbul wieder einmal vor Augen geführt, dass auch sie in einer Hochrisikozone leben. Laut einer Studie liegt die Wahrscheinlichkeit eines schweren Erdbebens mit einer Stärke von mehr als sieben auf der Richterskala in Istanbul bis zum Jahr 2030 bei 65 Prozent.
Der türkische Minister für Umwelt und Stadtplanung, Murat Kurum, gab kürzlich eine alarmierende Prognose ab: Jedes fünfte Gebäude in Istanbul sei bei einem starken Erdbeben gefährdet, das wären rund 1,5 Millionen Gebäude. Rund 600.000 Häuser könnten einstürzen, etwa 2,5 Millionen Menschen wären in Gefahr.
Die wirtschaftlichen Folgen eines solchen Szenarios wären katastrophal. Finanzinstitute sind auf den ständigen Zugriff auf ihre Daten und eine funktionierende Infrastruktur angewiesen, um Transaktionen abwickeln zu können. Ohne diese könnte die gesamte türkische Wirtschaft in den Strudel einer regionalen Katastrophe gezogen werden. Banken wie Denizbank, Garanti Bank und Finansbank arbeiten daher verstärkt an Notfallplänen und verlagern ihre Präsenz nach Ankara, das als relativ erdbebensicher gilt.