Kriegsgebiete als Touristenattraktion – Was ist “Dark Tourism”?

Symbolbild: Pexels.com
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17.11.2024 – 17:00 Uhr

In den letzten Jahren hat sich ein Trend im Tourismus abgezeichnet: Immer mehr wohlhabende Reisende suchen gezielt Orte auf, die mit tragischen oder traumatischen Ereignissen der Menschheitsgeschichte verbunden sind. Dieser als “Dark Tourism” bezeichnete Trend umfasst Besuche von Kriegsschauplätzen, ehemaligen Gefängnissen, Naturkatastrophengebieten, Holocaust-Museen oder Städten, die von Terroranschlägen betroffen waren.

Wachsende Beliebtheit und wirtschaftliche Dimensionen

Laut dem “Dark Tourism Market Outlook” von Future Market Insights wird erwartet, dass der Marktwert des Dark Tourism bis 2024 auf 31,89 Milliarden US-Dollar ansteigt und bis 2034 sogar 40,82 Milliarden US-Dollar erreicht. Diese Entwicklung wird unter anderem auf die zunehmende Anzahl von Dokumentationen, Filmen und Fernsehsendungen zurückgeführt, die romantisierte Darstellungen solcher Destinationen bieten.

Beliebte Ziele und aktuelle Entwicklungen

Zu den bekanntesten Zielen des Dark Tourism zählen das Konzentrationslager Auschwitz in Polen, das Friedensmuseum in Hiroshima, Japan, und das 9/11-Memorial in den USA. Aktuell stehen jedoch Länder wie die Ukraine, Israel, Pakistan und der Irak im Fokus der Reisenden. In der Ukraine beispielsweise hat die Organisation “Visit Ukraine” im Jahr 2022 Touren zu Städten in der Region Kiew angeboten, die während des Konflikts mit Russland beschädigt wurden. Obwohl die staatliche Tourismusentwicklungsagentur vor den Risiken solcher Reisen warnte und Touristen empfahl, bis zum Ende des Krieges fernzubleiben, wurden dennoch Tourismusinitiativen gestartet. Besuchern wird geraten, die App “Air Alarm” auf ihren Smartphones zu installieren, um Warnungen des Zivilschutzsystems zu erhalten.

Psychologische Aspekte und Sicherheitsbedenken

Dr. Merve Setenay Gürbüz, Psychiaterin am Moodist Psychiatry and Neurology Hospital, betont, dass Besucher solcher Orte nicht primär Freude oder Entspannung suchen, sondern Trauer empfinden und vergangene Schmerzen erneut erleben möchten. Sie weist darauf hin, dass das Motiv hinter solchen Aktivitäten von Bedeutung ist: Während das Trauern über erlebte Verluste eine gesunde Reaktion darstellt, könnten Aktivitäten, die aus einer Vorliebe für melancholische Zustände resultieren, auf unbewältigte Traumata hindeuten. Es sei wichtig, die zerstörerischen Aspekte von Traumata zu betrauern und gleichzeitig aus den lehrreichen Aspekten zu lernen.

Motivationen und wirtschaftliche Chancen

Hüseyin Kurt, Vorsitzender des International MICE Industry Association, sieht in der Neugier der Menschen den Hauptantrieb für Dark Tourism. Er erklärt, dass das begrenzte Wissen über Länder wie Afghanistan oder Syrien das Interesse weckt und Menschen dazu motiviert, diese Orte zu bereisen. Murat Çakan, Vorstandsvorsitzender der Royal Diamond Group Agency, berichtet, dass im vergangenen Jahr etwa 25.000 Touristen Afghanistan besucht haben. Tulga Ozan, Inhaber des Reiseunternehmens “Dünya Değişmeden”, gibt an, dass Reisen nach Westafrika zwischen 6.000 und 7.000 US-Dollar kosten, während Gabun etwa 8.000 US-Dollar kostet. Kemal Ertem, Vorsitzender der TÜRSAB-Auslandsfachkommission, berichtet, dass er 2019 eine Reise mit 1.000 Teilnehmern in die Sperrzone des Kernkraftwerks Tschernobyl organisiert hat.

Ethische und sicherheitstechnische Bedenken

Trotz der wachsenden Beliebtheit des Dark Tourism gibt es erhebliche ethische und sicherheitstechnische Bedenken. Kritiker argumentieren, dass solche Reisen die Gefahr bergen, das Leid der betroffenen Gemeinschaften zu trivialisieren oder zu kommerzialisieren. Zudem besteht für Touristen ein erhöhtes Risiko, insbesondere in aktiven Konfliktzonen oder Gebieten mit unzureichender Sicherheitsinfrastruktur. Es ist daher unerlässlich, dass Reisende sich umfassend informieren und die potenziellen Risiken sorgfältig abwägen, bevor sie sich auf solche Abenteuer einlassen.