Der japanische Bauingenieur und Erdbebenexperte Yoshinori Moriwaki hat erneut eindringlich vor einem schweren Erdbeben in Istanbul gewarnt. Seinen Berechnungen zufolge könnte die Metropole in naher Zukunft von einem Beben der Stärke 7,5 erschüttert werden. Er verweist auf historische Ereignisse wie die Erdbeben von 1509 und 1766 und betont, dass die Erde inzwischen erneut genug Energie angesammelt habe, um ein solches Beben auszulösen.
Besonders kritisch beurteilt Moriwaki die Bodenbeschaffenheit in vielen Stadtteilen. Vor allem die westlich gelegenen Bezirke auf der europäischen Seite Istanbuls – darunter Avcılar, Esenyurt sowie Küstenregionen – gelten als hochgefährdet. Auch auf der asiatischen Seite bestehe in Gegenden wie Pendik und Tuzla ein erhöhtes Risiko, da der Untergrund dort größtenteils aus weichen Böden besteht. Diese geologischen Gegebenheiten in Kombination mit unzureichender Bauqualität und fehlender Kontrolle würden das Schadenspotenzial drastisch erhöhen.
Im Vergleich zu Japan, wo deutlich mehr Erdbeben auftreten, aber weit weniger Todesopfer zu beklagen sind, sieht Moriwaki in der Türkei vor allem strukturelle Defizite. Er betont, dass viele Gebäude schlecht gebaut und nicht erdbebensicher seien. Hinzu komme, dass in der Ausbildung von Ingenieuren und Architekten entscheidende Unterschiede bestünden. Während in Japan eine zweijährige praktische Ausbildung Pflicht sei, könnten Fachkräfte in der Türkei bereits direkt nach dem Studium verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen – eine Praxis, die sich negativ auf die Qualität der Bauwerke auswirke.
Für Moriwaki ist klar: Die Türkei muss ihre städtische Erneuerung mit Hochdruck vorantreiben. Insbesondere Schulen, Krankenhäuser und andere wichtige öffentliche Einrichtungen sollten schnellstmöglich ertüchtigt werden. Zwar gebe es bereits erfolgreiche Projekte wie die Osmangazi-Brücke oder den Marmaray-Tunnel, die zeigen, dass erdbebensicheres Bauen in der Türkei möglich ist. Doch solche Beispiele müssten flächendeckend zum Standard werden.
Er betont, dass es nicht ausreiche, das Leben mit dem Erdbeben zu akzeptieren. Vielmehr müsse man lernen, sich aktiv dagegen zu wappnen – durch bauliche Sicherheit, persönliche Vorbereitung und eine stärkere Sensibilisierung der Bevölkerung. Nur so könne das Risiko künftiger Katastrophen verringert werden.